Theaterhistoriographie als kulturelle Praxis

Leitung: Prof. Dr. Stefan Hulfeld

Theatergeschichtsschreibung ist keine zwingende Folge von Theaterpraxis, vielmehr ist sie als Literaturgattung zu verstehen, in welcher ein bestimmtes kulturpolitisches Engagement anhand ausgewählter Monumente der Kulturgeschichte innerhalb traditioneller rhetorischer Grundmuster bzw. Darstellungsformen der Wissenschaft artikuliert wird.

In diesem Sinn untersucht das Forschungsprojekt Theatergeschichtsschreibung als kulturelle Praxis und unternimmt damit den erstmaligen Versuch, die Geschichte der Theaterhistoriographie über die Grenzen ihrer universitären Institutionalisierung hinaus zu beschreiben, zu bewerten und hinsichtlich der Planung künftiger Forschung auszuwerten.

Die Topoi, Grundmuster und Wertungskriterien der Theatergeschichtsschreibung ent­wickelten sich vornehmlich während des 16. und 17. Jahrhunderts in drei Literaturformen. Erstens in Reiseberichten, zweitens im poetologischen Diskurs und drittens im Moraldiskurs. Parallel zur Herausbildung des bürgerlichen Theatermodells münden im 18. Jahrhundert diese drei Diskurse in explizite Theatergeschichtsschreibung und zwar nahezu gleichzeitig in ganz Europa.

Diesen frühen Theatergeschichten ist gemeinsam, dass sie Geschichtsschreibung hinsichtlich der im Gange befindlichen Theaterreform betrieben und deshalb eine «Positivgeschichte» von Theater darlegten, die alle Theaterpraktiken negativ bewertete oder ignorierte, welche sich nicht in den Dienst der «Bühne als Sittenschule» stellen liessen. Gegen diese Tradition der «Reformtheatergeschichte» entwickelten sich im Laufe des 20. Jahrhunderts verschiedene historiographische Schulen, welche z.B.

  • auf «Methoden» fokussierten,
  • Theater als Funktion soziologischer Strukturen verstehen wollten,
  • den bürgerlichen Theaterbegriff ablehnten,
  • den Wert der aus dem Geschichtsbild verdrängten kulturellen Praktiken betonten etc.

Aber weil auch die jeweiligen Neuansätze, mit dem unter bestimmten Interessen geformten «Wissen» umgehen, lebt die Reformgeschichte in Strukturen unseres Denkens bis heute weiter.

Das Forschungsprojekt erforscht die Geschichte der Theaterhistoriographie mit dem Ziel, dieser als einer künftigen kulturellen Praxis adäquatere Methoden, neue Denkweisen und Themen zu erschliessen und damit eine erhöhte Relevanz als kulturhistorische Disziplin.