Oskar Eberle (1902-1956): Identitätsdiskurs, Theaterpolitik und Laienspielreform

Forschungsprojekt SAPA + Institut für Theaterwissenschaft der Universität Bern (ITW)
Leitung: PD Dr. Heidy Greco-Kaufmann
Nebengesuchstellerin: Prof. Dr. Beate Hochholdinger-Reiterer
Mitarbeitende: Dr. Tobias Hoffmann, MA Simone Gfeller
Beginn: 1. November 2018, Laufzeit: 3 Jahre, unterstützt durch den SNF

Oskar Eberle, Theaterwissenschaftler, Dramatiker, Regisseur und Promotor einer Professionalisierung des einheimischen Theaterwesens, prägte den Theaterdiskurs in der Schweiz im 20. Jahrhundert in entscheidender Weise. Er grün­dete die «Gesellschaft für Innerschweizer Theaterkultur» (heute „Schweizerische Gesellschaft für Theaterkultur“) und amtete als deren Geschäftsführer, Herausgeber und Publizist. Im Rückgriff auf die Vergangenheit und in Abgrenzung vom «fremden» Theater versuchte er, eine nationale Theateridentität zu konstruieren und das Schweizer Theaterschaffen anhand theoretischer Schriften und theaterpraktischer Arbeiten zu reformieren. Zu Lebzeiten als Erneuerer des Amateurtheaters gefeiert und mit der Inszenierung von nationalen Festspielen (1939, 1941) betraut, geriet er im Zug der Aufarbeitung der eid­genössischen Politik der «geistigen Landesverteidigung» in den Verdacht der ideologischen Nähe zu völkischen und national­sozialistischen Denkmustern. Da der umfangreiche, im Schweizer Archiv der Darstellenden Künste liegende Eberle-Nachlass bislang nicht aufgearbeitet wurde, fehlt es an Grundlagenforschung zu den konkreten Lebens- und Arbeitsbedingungen des wichtigsten Schweizer Exponenten des Theaterwesens der Zwischenkriegs- und Kriegszeit.

Mit dem Projekt «Oskar Eberle (1902–1956): Identitätsdiskurs, Theaterpolitik und Laien­spielreform» soll – ausgehend von einer Zusammenstellung und Auswertung der biografischen und zeitgeschichtlichen Quellen – diese eklatante Forschungslücke der Theatergeschichte der Schweiz geschlossen werden. Im interdisziplinären Austausch mit Fachexperten („Projektpartner“) analysiert das dreiköpfige Projektteam die Quellen unter Berücksichtigung von zeitgeschichtlich relevanten Fragestellungen. Ziel ist die Erarbeitung einer Gesamtdarstellung, die Eberles Wirken als Theaterhistoriker, Theaterpraktiker und Promotor von nationalen Festspielen nachzeichnet und im Kontext der Zeit­umstände interpretiert.

Das Projekt ist in vier Phasen gegliedert. Phase I gilt der Beschäftigung mit den erst kürz­lich erschlossenen Nachlässen von Eberle und Bundesrat Philipp Etter sowie weiteren Materialien, die in verschiedenen Archiven und bei Privaten vorhanden sind. Ergänzt werden die Recherchen durch Interviews mit Zeitzeugen („oral history“). Phase II steht im Zeichen der vertieften Ausein­andersetzung mit der Zeitgeschichte. Vorgesehen sind Work­shops in Kooperation mit Experten zu folgenden Themen: «Freundschaft und Zusammenarbeit mit Bundesrat Etter» (Thomas Zaugg, Staats­archiv Zug), «Rekatholisierungsbestrebungen in der Schweiz in der Frühen Neuzeit und im 20. Jahr­hundert» (Prof. Dr. Cora Dietl, Universität Giessen), «völkisches/nationalsozialistisches Gedankengut» und „geistige Landes­verteidigung“ (Prof. Dr. Siegfried Weichlein, Universität Fribourg) sowie «Katholizismus und Antisemitismus in der Schweiz» (Prof. Dr. Markus Ries, Universität Luzern). In Phase III wird kontinuierlich an der Monografie geschrieben und spezifische Aspekte in Work­shops vertieft: «Die Rolle der Musik bei Eberles Aufführungen» (Dr. Bernhard Hangartner, Universität Zürich), «Ideologische Pa­rallelen zwischen Eberle und Gründern deutscher (Carl Niessen) und österreichischer (Joseph Gregor) Theater­sammlungen» (Prof. Dr. Beate Hochholdinger-Reiterer, Universität Bern). In Phase IV werden die Forschungsergebnisse im Rahmen einer Tagung mit allen Kooperationspartnern zur Diskussion gestellt. Die Rückmeldungen der verschiedenen Fachvertreter fliessen in die Schlussredaktion der Monografie ein.

Der wesentlichste Erkenntnisgewinn der Studie liegt in der diskursiven Verschränkung der verschiedenen Tätigkeitsfelder und Netzwerke, in denen Eberle aktiv war. Sowohl in theaterpraktischer wie auch theatertheoretischer und institutionengeschichtlicher Hinsicht ist die Monografie von zentraler Bedeutung für die Schweizer Theatergeschichte der 1920er- bis 1950er-Jahre.