Von der Kooperation zur Kollaboration: Netzwerke als Handlungsfelder institutioneller Dramaturgie

Ass. Prof. Dr. Alexandra Portmann

Das zeitgenössische Theaterschaffen ist massgeblich durch die Praxis des Koproduzierens geprägt. Ein kursorischer Blick auf Programmhefte und Homepages zeigt, dass zeitgenössische Performances und Theaterproduktionen selten ohne mehrere Koproduktionspartner realisiert werden.  Dadurch entsteht ein eng verwobenes Netzwerk an Akteuren wie Häusern, Festivals, Künstler*innen, Kurator*innen und Kulturförderern, welches nicht nur die Verwertung und Zirkulation der einzelnen Produktionen beeinflusst, sondern auch die künstlerische und institutionelle Zusammenarbeit entscheidend prägt.

Die Studie fokussiert Formen künstlerischer und institutioneller Zusammenarbeit und fragt danach, wie transnationale Produktionsnetzwerke in den performativen Künsten nachhaltig auf institutionelle Strukturen einwirken können. Dabei rückt insbesondere das Wechselverhältnis zwischen internationalen Festivals und lokalen Theatersystemen (Produktionshäuser, Stadt- und Staatstheater) in den Vordergrund.

Der Arbeit liegen drei zentrale Thesen zugrunde: Erstens, aufgrund der fortlaufenden Netzwerktätigkeiten lässt sich die Trennung zwischen internationalem Festival und lokalem Theatersystem nicht aufrechterhalten. Transnationale Arbeitsweisen und deren Konventionen haben sich spätestens seit den 1980er etabliert und durchdringen das zeitgenössische Theater- und Kulturschaffen auf allen Ebenen. Zweitens wirken diese Arbeitsweisen genau dann auf institutionelle Strukturen ein, wenn Institutionen kollaborative Prozesse eingehen und damit eigene Strukturen, Arbeitskonventionen und Bedingungen hinterfragen (müssen). Unter dem Begriff der Kollaboration wird dabei im Anschluss an Mark Terkessidis eine Form der Zusammenarbeit verstanden, die im Gegensatz zur Kooperation auf die Veränderung von Prozessen und Arbeitsweisen ausgelegt ist (Terkessidis 2015). Drittens, institutionelle Veränderungsprozesse richten sich sowohl nach innen (Arbeitskonventionen, Anstellungsbedingungen, Leitungsverständnisse, Programmgestaltung) als auch aussen (Vermittlung und Publikum) und werden massgeblich durch die Arbeit an einem weitgefassten Netzwerk sowie dem Eingehen von überinstitutionellen, künstlerischen und personellen Partnerschaften geprägt. Somit kann das Handlungsfeld einer Institution unter dem Begriff der institutionellen Dramaturgie gefasst werden, welche das Verhältnis von institutionellen Strukturen und Ästhetiken beschreibt.

Die Studie untersucht Formen des institutionellen Wandels im Gegenwartstheater entlang exemplarischer Fallbeispiele wie ausgewählten künstlerischen Arbeiten, Institutionen und Festivals sowie deren professionelle Netzwerke. Durch die systematische Visualisierung der Netzwerktätigkeit als kollaborative Praxis wird so zugleich ein Ansatz für die Dokumentation von zeitgenössischen transnationalen Arbeitsweisen im Theater entwickelt. Die Perspektive auf Netzwerke als Handlungsfelder institutioneller Dramaturgie versteht sich als Beitrag zu einer Theatergeschichtsschreibung jenseits einer Personen- oder Institutionenzentrierung. Die Arbeit verortet sich im Feld der Festivalforschung sowie der Forschung zum institutionellen Wandel im europäischen Gegenwartstheater.